Konzertkritik
Konzert vom 11.11.2016 im Raatssaal
Die pure Freude am Spielen
Vision String Quartet zieht auch junge Besucher zum Konzert / Gruppendynamik auf der Bühne
Pinneberger Tageblatt, 15. November 2016
Sie waren für viele das Highlight der letzten Saison und die Erwartungen waren hoch: Das Vision String Quartet zog die Klassikfans am vergangenen Freitag zum Konzert des Kulturvereins Pinneberg in den Ratssaal. „Das passiert nur ganz selten, dass dieselbe Gruppe Musiker in zwei aufeinanderfolgenden Saisons bei uns auftritt“, kommentierte die Vorsitzende Gisela Bergner zur Begrüßung. „Doch es lohnt sich.“
Die vier Musiker Jakob Encke (Violine), Daniel Stoll (Violine), Sander Stuart (Viola) und Leonard Disselhorst (Cello) hatten ein buntes Programm vorbereitet. Den Anfang machte ganz klassisch Joseph Haydns Streichquartett C-Dur op. 76/3, das „Kaiserquartett“. „Haydn schrieb das Stück mit 65 Jahren, als Krieg in Österreich herrschte“, erläuterte Stoll, der den Abend selbst moderierte. Es basiert auf Haydns Kaiserhymne in strahlendem C-Dur, das nun im Quartett durch tragisches c-Moll eingetrübt werde.
Die vier Musiker spielten sehr zart und gefühlvoll – nur um dann das komplette Kontrastprogramm zu fahren: energiegeladenes Staccato, dröhnender Bordun und fliegende Locken. Von einem Moment auf den nächsten konnte die Stimmung kippen. Die Musiker kitzelten die kleinen Eigenarten und Besonderheiten ihrer Stücke heraus, um sie dem Publikum in voller Betonung zu präsentieren. So hatte das Menuetto fast Scherzo-hafte Züge und das Finale erinnerte dann und wann an Rimski-Korsakows Hummelflug. In einem Stück prallten Welten zusammen.
Genauso dramatisch ging es mit Felix Mendelssohn-Bartholdys Streichquartett Nr. 6 in f-Moll op. 80 weiter. Eine völlig andere Welt betraten sie danach noch mit Claude Debussys impressionistischen Streichquartett g-Moll op. 10. Nicht das Einzige, das Debussy je geschrieben hat, aber das einzige das eine Nummer in seinem Werk erhielt, wie Stoll die Zuschauer informierte.
Keine Noten, keine Stühle: Das Vision String Quartet bringt schon von Beginn an eine andere Gruppendynamik mit auf die
Bühne als andere Quartette. Sie interagieren miteinander, spielen auswendig. „Wenn es nicht klappt, improvisieren wir
eben“, sagten die Musiker. Bergner war genauso wie der Rest der Zuhörer beeindruckt: „Das Ganze ohne sichtbare
Anweisungen. In ihrem gesamten Auftreten zeigen sie ihre Freude am Spielen“, sagte sie. Vor allem freute sie aber,
dass die jungen Männer mit ihrem modernen Ansatz auch ein jüngeres Publikum in den Ratssaal lockten. „Eine Besucherin
meinte, das wäre zwar nicht ihre Musikrichtung, aber was die Künstler mit ihren Instrumenten für Musik hervorbringen,
wäre faszinierend“, so Bergner.
Felisa Kowalewski (Artikel/Foto)