Konzertkritik

Konzert vom 20.10.2017 im Raatssaal

Dietrich Henschel überzeugt bei der "Winterreise"
Gelungener Traditionsbruch beim Konzert des Kulturvereins im Pinneberger Ratssaal
Hamburger Abendblatt, 23. Oktober 2017, von Mirjam Rüscher (Artikel/Foto)

Naaman Wagner am Klavier und Dietrich Henschel, Bariton

Pinneberg. Die Reise begann mit einem Abschied, einem "Gute Nacht". "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus" – schon mit den ersten Textzeilen, den ersten Tönen aus Franz Schuberts "Winterreise" schlug Dietrich Henschel die Zuhörer in seinen Bann. Der Bariton verlieh den Stücken des populären Liederzyklus im Pinneberger Ratssaal seine ganze eigene Note. Und das lag nicht nur an seinem hervorragenden Gesang, sondern auch an der Art und Weise, wie er die Stücke auf der Bühne präsentierte.

Henschel sang nicht nur, er erzählte dem Publikum durch seine ausgeprägte Mimik und Gestik eine Geschichte. Sein Gesicht und seine Körperhaltung spiegelten das Spiel der Emotionen der "Winterreise" wider.

Bereits vor dem ersten gesungenen Ton schaffte Henschel es, dem Publikum ein Lachen zu entlocken. Er sei gebeten worden, vor dem Auftritt einige Worte zu den Stücken zu sagen. "Für gewöhnlich lehne ich das sofort ab." Doch dann habe er erfahren, dass es alte Tradition bei den Liederabenden des Kulturvereins sei, das zu tun. Und da der musikalische Leiter des Vereins Cord Garben, der diesen Part für gewöhnlich übernimmt, verhindert war, musste der Sänger einspringen.

Tradition wurde zum Stichwort des Abends. Denn Henschel sollte nicht nur einige Worte sprechen, sondern auch der "Winterreise" einige Lieder voranstellen. "Das ist ein absoluter Traditionsbruch", so Henschel. Auf seine Frage warum, bekam er die Antwort, sonst sei die Zeit bis zur Pause zu kurz. "Bei der Winterreise, dem Allerheiligsten des deutschen Liedguts eine Pause zu machen, das ist der zweite absolute Traditionsbruch", sagte Henschel und musste selbst lachen.

Der Bariton tat, worum er gebeten wurde, sprach über die folgenden Lieder, und schon dabei gestikulierte er, fast als würde er ein Orchester dirigieren. Die vier Lieder, die er und Naaman Wagner, der ihn gekonnt am Klavier begleitete, der "Winterreise" voranstellten, fügten sich harmonisch zu einem Gesamtbild mit dem Liederzyklus. Denn wie die "Winterreise" sind auch diese Stücke Auseinandersetzungen des Menschen mit seinem Charakter und mit dem Tod. Sehnsucht und Suchen sind die zentralen Themen der Lieder.

Henschel verkörperte beide auf gelungene Art und Weise. Seine Töne waren exakt gesetzt und differenziert, seine Intonation klar und deutlich. Henschel sang die Lieder nicht nur, er spürte ihnen nach. Er wirkte, als würde er jeden einzelnen Ton genießen, jedes beschriebene Gefühl auskosten – die Liebe, die Sehnsucht, die Angst, die Wut. Henschel ließ sich regelrecht in die Musik fallen. Ein Einsatz, den das Publikum angemessen honorierte.

Langer Applaus und Bravorufe riefen ihn und Wagner sogar zu einer Zugabe auf die Bühne - obwohl sich das nach der "Winterreise" eigentlich nicht gehöre. "Aber wir haben heute Abend mit so vielen Traditionen gebrochen, dass wir nun auch damit brechen", so Henschel. Es schien, als habe er am Traditionsbruch Geschmack gefunden. Das Publikum tat es in jedem Fall.
(mrü)

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